In July 2020, a view of the barracks site before the excavators and cranes chased the poor bees away. Photo: MPS-Studio e.V.
The MPS Studio befindet sich seit Jahrzehnten in der Richthofenstraße. Gleich daneben schrieb SABA in Villingen glorreiche Industriegeschichte. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Im Nationalsozialismus wurden hier der Volksempfänger und Rüstungsgüter produziert – unter anderem für deutsche Panzer. Dabei kamen auch Zwangsarbeiter:innen zum Einsatz.
Nach dem Krieg stieg die Göttin SABA schnell wieder aus der Asche empor und prägte das regionale Wirtschaftswunder. Und ohne SABA kein MPS (Musikproduktion Schwarzwald). Nach den Jahren der Marschmusik erklang Jazz aus dem berühmten MPS Studio in der Richthofenstraße – oft gespielt von schwarzen Musiker:innen. Nur wenige Jahre nach der Kapitulation des Naziregimes. Vieles ist möglich!
Graffiti on a SABA building that no longer exists, July 2021. The two men depicted on the left could be Oscar Peterson, on the right probably HGBS (Hans-Georg Brunner-Schwer, the founder of MPS). Photo: MPS-Studio e.V.
Heute sind nur noch wenige Gebäude des einst wichtigsten Arbeitgebers der Stadt Villingen erhalten geblieben. Das ikonische Logo, das einst auf dem Hauptgebäude prangte – ein Villinger Wahrzeichen – wurde einfach demontiert. Ein Gebäudeensemble, das vielen Menschen und ihren Familien Arbeit, Zusammenhalt und Identität stiftete, ging verloren.
The SABA logo before it was removed from the roof. Photo: MPS-Studio.e.V.
Nebenan, auf dem ehemaligen Kasernengelände, wird seit zwei Jahren pausenlos gebaut. Hier entstehen – unweit des Gebäudes, in dem auch das MPS Studio beheimatet ist – Investorenimmobilien im zeitgenössischen Weiß bis Grau. Wieder arbeiten hier Menschen aus überwiegend anderen Ländern, sie wohnen in Containern. Am Wochenende hallt folkloristische Musik herüber. Die neue Architektur wird Platz für viele Familien und neue Bewohner:innen bieten. Moderne Bauten treffen auf historische Mauern – ein neues Quartier entsteht in Windeseile.
Es ist bekannt, dass sich im direkten Umfeld des Geländes einst ein Kriegsgefangenenlager befand, wo auch Zwangsarbeiter:innen lebten, welche die kriegswichtige Produktion – unter anderem bei SABA – aufrechterhalten sollten. Nun entsteht das Wohngebiet „Von Richthofenpark“ dort, wo einst Wehrmachtseinheiten in Reih und Glied auf ihren Einsatz vorbereitet wurden. Auf der Webseite der „DBA Deutsche Bauwert“ heißt es:
„Die Gebäude gruppieren sich um einen attraktiven grünen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität. Die harmonische Architektur und die geschmackvolle Gebäudeausstattung bieten das perfekte Umfeld für Menschen, die genau wissen, was sie wollen – einen Ort des Wohlbefindens im perfekten Einklang mit seiner Umgebung.“
The barracks site on Richthofenstrasse, the „Von Richthofenpark“, the view is now obstructed by the terraced houses of another building company. Photo: MPS-Studio e.V.,
Die Kaserne wurde bereits in den 1920er-Jahren nach dem berühmten Jagdflieger benannt. Richthofen? Ach ja, das war doch der wagemutige Manfred von Richthofen, der „Diable Rouge“, der „Rote Baron“ – jener Flieger mit den lustigen Doppeldeckern aus den „Väter-der-Klamotte“-Filmen, der im Ersten Weltkrieg reihenweise feindliche Piloten vom Himmel holte. Der, wie er selbst sagte, „auf Menschenjagd gegangen ist“. Aber natürlich mit Anstand. Er feuerte nicht einfach in die Motoren – nein, der ehrenhafte deutsche Jagdflieger Richthofen tötete heldenhaft, direkt ins Herz!
Mit 25, bereits äußerlich gezeichnet von der fortwährenden Jagdlust, wurde er im Luftkampf von einem australischen Gegner abgeschossen. Einige Jahre später wussten die Nazis um Hermann Göring – und dem schreifreudigen Mann aus Braunau – den Namen Richthofen propagandistisch perfekt auszuschlachten. Zahlreiche Kasernen wurden nach ihm benannt, ebenso viele Straßen in Deutschland: etwa in Berlin-Tempelhof, Detmold, Augsburg, Bremen, Günzburg, Landau oder Kiel. Villingen wird in Wikipedia nicht einmal erwähnt – und es ist auch nicht bekannt, dass Richthofen je vor Ort war.
Teile des Gemeinderats stimmten gegen eine initiierte Umbenennung und damit gegen die Entmilitarisierung des Straßennamens – auch, weil manche Anwohner:innen und Firmen das nicht mittragen wollten. Man hörte Argumente, neue Visitenkarten und Briefbögen seien zu teuer. Was haben da wohl nach Kriegsende all die Anlieger und Unternehmen der früheren Hermann-Göring- oder Adolf-Hitler-Straßen für ein teures Opfer gebracht?
Dreams are foams? The future Oscar-Peterson-Allee. Photo: MPS-Studio e.V.
Nach 1945 wurden die Gebäude bis zum Ende des Kalten Krieges von der französischen Armee genutzt – und von den Befreiern nach französischen Generälen benannt. Aus der Richthofen- und Boelcke-Kaserne wurden die Lyautey– und Welfert-Kasernen. Es gab ein französisches Kino, sogar einen Supermarkt. Es roch nach Baguette, vielleicht wurde Boule gespielt – und wer gute Beziehungen hatte, bekam Gitanes Zigaretten, Châteauneuf-du-Pape oder Pernod zum Spottpreis. Vielleicht erklangen sogar Chansons von Serge Gainsbourg oder es wurde zu Dalida getanzt.
Und heute? Das neue Immobilienensemble heißt tatsächlich „Von Richthofenpark“. Nein, kein Scherz! Waren das bloß findige Marketingspezialist:innen ohne jedes Fingerspitzengefühl – oder steckt da mehr dahinter? Ach ja, Adelsnamen ziehen in diesem Land offenbar immer noch. Mit ihnen lässt sich Begeisterung – und wie man sieht: auch Immobilien – verkaufen.
Das mit der Begeisterung hat schon der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg bemerkt (bürgerlich: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg), der ohne je ein Unternehmen geleitet zu haben Wirtschaftsminister wurde. Seine gefälschte Doktorarbeit verziehen ihm laut Umfragen anfangs noch rund 70 % der Bevölkerung. Schließlich war er ja diese bayerische Lichtgestalt – der schnittige Kerl im AC/DC-T-Shirt mit der gegelten Falko-Frisur! Am Ende nutzten Statussymbol und Äußerlichkeiten nichts: Die Wissenschaftscommunity setzte dem Spuk mit einem offenen Brief ein Ende.
The only constant thing is change (Heraclitus). This building was also once on the SABA site. It is reminiscent of Ed Hopper's paintings. Photo: MPS-Studio e.V.
Wovon also wollen wir träumen? Statt eine Straße nach einem vor über 100 Jahren abgeschossenen, blutrünstigen Piloten zu benennen, könnte aus der Richthofenstraße doch eine „Oscar-Peterson-Straße“, eine „Albert-Mangelsdorff-Straße“ oder – zu Ehren des großartigen Tontechnikers aus dem MPS-Studio – eine „Rolf-Donner-Chaussee“ werden! Natürlich könnte man auch dem Gründer Hans-Georg Brunner-Schwer eine Straße widmen – aber dazu müssten die Visitenkarten wohl im extra langen Querformat gedruckt werden, von den überdimensionalen Straßenschildern ganz zu schweigen.
Unser Vorschlag: die „Oscar-Peterson-Straße“. Einem der weltbesten Pianisten, der regelmäßig für einzigartige Aufnahmen nach Villingen kam, würde eine Straße gewidmet – an der das weltberühmte MPS-Studio liegt. Das wäre doch etwas! Eine Gesellschaft muss sich schließlich auch daran messen lassen, wie sie ihre Straßen benennt.
Und für die Nachbarn mit Sorge um neue Visitenkarten oder Briefbögen? Man könnte ja eine Crowdfunding-Aktion starten – vielleicht mit Flyeralarm als Hauptsponsor.
Wo ein Wille ist…
Dream again!
He felt at home here in Villingen: the Canadian star pianist Oscar Peterson at the Brunner-Schwer house in 1964. Good acoustics and good food. Photo: German Hasenfratz. © MPS-Studio.e.V.