Stadt(t)raum Oscar-Peterson-Allee

17.08.2023

Im Juli 2020. Ein Blick auf das Kasernengelände bevor die Bagger und Kräne die armen Bienen verjagt haben. Foto: MPS-Studio e.V.

Das MPS-Studio befindet sich schon seit Jahrzehnten in der Richthofenstraße. Gleich daneben hat SABA in Villingen glorreiche Industriegeschichte geschrieben. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: Im Nationalsozialismus wurde hier auch der Volksempfänger, sowie Rüstungsgüter, die u.a. in deutschen Panzern Verwendung fanden, gebaut. Dazu wurden Zwangsarbeiter:innen eingesetzt. Nach dem Krieg ist die Göttin SABA dann schnell wieder aus der Asche emporgestiegen und hat das Wirtschaftswunder mitgeprägt. Und ohne SABA kein MPS (Musikproduktion Schwarzwald). Nach den Jahren der Marschmusik ertönte Jazz aus dem berühmten MPS-Studio in der Richthofenstraße, oft gespielt von Menschen mit nicht nur weißer Hautfarbe. Und dies wenige Jahre nach der Kapitulation des Naziregimes. Vieles ist möglich!

Graffiti auf einem nicht mehr existierenden SABA-Gebäude, Juli 2021. Bei den zwei dargestellten Herren könnte es sich links um Oscar Peterson handeln, rechts vermutlich HGBS (Hans-Georg Brunner-Schwer, der Gründer von MPS). Foto: MPS-Studio e.V.

Heute sind nur noch wenige Gebäude des einstmals wichtigsten Arbeitgeber der Stadt Villingen erhalten geblieben. Das Logo, das ikonisch auf dem Hauptgebäude prangte, ein Villinger Wahrzeichen, es wurde einfach demontiert. Ein Gebäudeensemble, dass vielen Menschen und ihren Familien Arbeit, Zusammenhalt und Identität gestiftet hatte, ging verloren.

Das SABA-Logo, bevor es vom Dach geholt wurde. Foto: MPS-Studio.e.V.

Nebenan auf dem ehemaligen Kasernengelände wird seit zwei Jahren pausenlos gebaut. Hier entstehen unweit neben dem Gebäude, wo auch das MPS-Studio beheimatet ist, Investorenimmobilien im zeitgenössischen Weiss bis Grau. Wieder sind Arbeiter aus überwiegend anderen Ländern auf dem Gelände tätig, sie leben in Containern. Am Wochenende hallt folkloristische Musik herüber. Die zeitgenössische Architektur wird Platz für viele neue Menschen und Familien bieten. Moderne Bauten kombinieren sich mit historischen Gemäuern. Ein großes neues Quartier entsteht in Windeseile.

Es ist bekannt, dass im direkten Umfeld des Geländes auch ein Zwangsarbeiterlager betrieben wurde, um die kriegswichtige Produktion u.a. auch bei SABA aufrecht zu erhalten. Nun entsteht das Wohngebiet “Von Richthofenpark” dort, wo auch Wehrmachtseinheiten in Reih und Glied auf ihren Einsatz vorbereitet wurden. Auf der Webseite der “DBA Deutsche Bauwert” liest man: “Die Gebäude gruppieren sich um einen attraktiven grünen Platz mit hoher Aufenthaltsqualität. Die harmonische Architektur und die geschmackvolle Gebäudeausstattung bieten das perfekte Umfeld für Menschen, die genau wissen, was sie wollen – einen Ort des Wohlbefindens im perfekten Einklang mit seiner Umgebung.”

Das Kasernengelände an der Richthofenstrasse, der “Von Richthofenpark”, die Sicht ist nun von den Reihenhäusern einer weiteren Baugesellschaft verbaut. Foto: MPS-Studio e.V.,

Die Kaserne wurde bereits in den 1920er Jahren nach dem berühmten Jagdflieger benannt. Richthofen? Ach stimmt, das war doch der wagemutige Manfred von Richthofen, der “Diable Rouge”, der “Rote Baron”, der Flieger mit den lustigen Doppeldeckern aus den “Väter der Klamotte”-Filmen, der im ersten Weltkrieg reihenweise die feindlichen Flieger vom Himmel holte, der wie er selbst sagte “auf Menschenjagd gegangen ist”. Aber natürlich mit Anstand. Er hat nicht einfach in die Fliegermotoren gefeuert, nein, ein leidenschaftlicher deutscher Jagdflieger mit Soldatenehre wie Richthofen tötete heldenhafter, nämlich ruckzuck direkt ins Herz! Mit 25, bereits äußerlich gezeichnet von der fortlaufenden Jagdlust, wurde er im Luftkampf von einem australischen Kontrahenten erlegt. Einige Jahre später wussten die Nazis um Hermann Göring und dem schreifreudigen Mann mit starkem Mundgeruch aus Braunau den Namen Richthofen dann richtig professionell auszuschlachten.

Zahlreiche Kasernen erhielten den Namen Richthofen, auch viele Straßen in Deutschland sind nach ihm benannt. Laut Wikipedia u.a. Berlin Tempelhof, Detmold, Augsburg, Bremen, Günzburg, Landau, Kiel und weitere. Villingen wird nicht einmal erwähnt, es ist auch nicht bekannt, dass Richthofen jemals Villingen besucht hat. Teile des städtischen Gemeinderats haben hier gegen die initiierte Umbenennung und damit Entmilitarisierung des Straßenamens gestimmt, auch weil manche Anwohner:innen und Firmen das Ganze nicht mittragen wollten. Man hört von Argumenten, dass eben neue Visitenkarten und Briefbögen Geld kosten. Was haben nach Kriegsende nur die ganzen Anlieger und Firmen der umbenannten Hermann-Göring- und Adolf-Hitler-Straßen in Deutschland für ein teures Opfer aufbringen müssen?

Träume sind Schäume? Die zukünftige Oscar-Peterson-Allee. Foto: MPS-Studio e.V.

Nach 1945 wurden die Gebäude dann bis Ende des Kalten Krieges von der französischen Armee bespielt und von den Befreiern nach französischen Generälen benannt. So wurde aus der Richthofen- und Boelkekaserne dann die Lyautey- und Welfert Kasernen. Es gab ein französisches Kino, sogar einen französischen Supermarkt, es roch nach Baguette, vielleicht gab es Boulespiel auf dem Kasernengelände – und wenn man gute Beziehungen hatte, war die Stange Gitanes-Zigaretten, die Flasche Châteauneuf du Pape oder der Pernod zum Spottpreis zu erwerben. Vielleicht wurden sogar die Chansons von Serge Gainsbourg in den Kasernen gehört oder beim Gläschen Roten zu Dalida getanzt?

Jüngst wurde das Immobilienensemble von der Deutschen Bauwert also “Von Richthofenpark” getauft? Nein, das ist kein Scherz! Waren das nur findige Marketingspezialisten ohne jegliches Fingerspitzengefühl oder steckt da mehr dahinter? Ach stimmt ja, mit Adelsnamen kann man in diesem Lande immer noch Menschen begeistern und so wie es scheint auch Immobilien verkaufen. Das mit der Begeisterung, das hat vor vielen Jahren bereits der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg (bürgerlich: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg) bemerkt, als er ohne jemals ein Unternehmen geleitet zu haben, Wirtschaftsminister werden durfte. Die von ihm gefälschte Doktorarbeit, das wurde ihm zu Beginn der langwierigen Affäre laut Umfragen noch von ca. 70% der Bevölkerung nachgesehen. Schliesslich war das doch diese bayerische Lichtgestalt, der schnittige Kerl im AC/DC T-Shirt, der mit der gegelten Falkofrisur! Am Ende haben Statussymbol und Äußerlichkeiten doch nichts genutzt und die Wissenschaftscommunity setzte dem Spuk und den zähen Diskussionen des Augenzudrückens mit einem offenen Brief ein Ende.

The only constant thing is change (Heraclitus). Auch dieses Gebäude war einmal auf dem SABA-Gelände. Es erinnert an die Bildmotive des Ed Hopper. Foto: MPS-Studio e.V.

Von was also wollen wir träumen? Anstatt die Straße nach einem vor über 100 Jahren abgeschossenen blutrünstigen Piloten zu benennen, könnte man aus der Richthofenstraße doch eine “Oscar-Peterson-Allee“, eine “Albert-Mangelsdorff-Straße” oder – benannt nach dem großartigen Tontechniker aus dem MPS-Studio – eine “Rolf-Donner-Chaussee” machen! Natürlich könnte man auch dem Gründer Hans-Georg Brunner-Schwer eine Straße widmen, aber dazu müssten dann extralange Visitenkarten gedruckt werden, von den überdimensionalen Straßenschildern ganz zu schweigen. Gut, unser Vorschlag wäre also “Oscar-Peterson-Allee”! Einem der weltbesten Pianisten, der regelmäßig für einzigartige Piano-Aufnahmen nach Villingen kam, wird eine Straße gewidmet, an der ein weltberühmtes Studio liegt. Das wär doch mal was! Eine Gesellschaft muss sich doch auch daran messen lassen wie sie ihre Straßen benennt.

Für die Nachbarn mit den Sorgen wegen der Extrakosten für neue Visitenkarten oder Briefbögen könnte eine Crowdfunding Aktion ins Leben gerufen- und vielleicht Flyeralarm als Hauptsponsor gewonnen werden. Wo ein Wille ist….

Träumen Sie mal wieder!

Hier in Villingen hat er sich wohlgefühlt: der kanadische Starpianist Oscar Peterson im Hause Brunner-Schwer 1964. Gute Akustik und gutes Essen. Foto: German Hasenfratz. © MPS-Studio.e.V.