DER MANN, DER AUF SUGARCANE HARRIS AUFPASSTE

07.02.2025

Post von Dieter Hahne

Dieter Hahne wuchs in der Villinger Hafnergasse auf. Das initiale Erweckungserlebnis mit dem Jazz erlebte er 1969 bei einem Konzert mit der Dieter Seelow / Peter Mayer Formation im Villinger Jazzclub (deren Vorsitzender er später für einige Jahre wurde). Zu MPS gelangte er 1972 über seinen Musikerfreund Achim Frey, um in der Werbeabteilung, geleitet von Hans Pfitzer im Bereich Public Relations mitzuarbeiten. Hier bekam er einen tieferen Einblick in das Schaffen eines unabhängigen Schallplattenlabels. Kleine Randnotiz: auch Manfred Eicher, Gründer von ECM-Records, begann im Februar 1969 eine Anstellung bei MPS-Records, wo er im Münchner Auslieferungslager als Fahrer und Versandarbeiter tätig war.

Doch zurück zu Dieter Hahne: im Februar 1975 wurde es ihm doch etwas zu eng im Schwarzwald und er heuerte bei der in Westberlin beheimateten legendären Plattenfirma FMP (Free Music Production) an, 1969 von den Musikern Peter Brötzmann, Peter Kowald, Alexander von Schlippenbach und Jost Gebers gegründet.

Berlin 1972. Von links nach rechts: MPS-Mitarbeiterin Lisa Boulton, MPS-Werbeleiter Hans Pfitzer (halb verdeckt), Peter Herbolzheimer, Dieter Hahne, Unbekannter mit Koteletten (sachdienliche Hinweise bitte an uns) und Dieter Reith. Aus dem MPS-Gästebuch Berliner Jazztage, das uns von Hans Pfitzer mitsamt seinen MPS-Erinnerungen übergeben wurde. (Foto German Hasenfratz © MPS-Studio e.V.)

Hahne ist Berlin treu geblieben, heute kümmert er sich wieder um den Backkatalog von FMP, der unter neuer Leitung gerade wieder aktiviert wird. Dieter habe ich im Zuge der Buchveröffentlichung “Jazzin´the Black Forest”, das 1999 bei mir im Verlag erschienen ist, kennen- und schätzen gelernt.

Dieter Hahne und Gunter Hampel bei der Buchpräsentation ” MPS – Jazzin’ The Black Forest” von Crippled Dick Hot Wax im Juni 1999, die erste Veranstaltung in der neuen Villinger Tonhalle (Foto © Jochen Hahne).

Als wir den Verein zum Erhalt des MPS-Studios 2022 gegründet haben, wurde dieser Kontakt erfreulicherweise wieder intensiviert, und man sieht sich von Zeit zu Zeit an der Spree wie auch an der Brigach. Vor einigen Tagen übergab der Postmann ein Päckchen von Dieter mit einer schönen Überraschung: ein originales MPS-T-Shirt von 1973 zur Tournee “Rhythm & Sounds” mit Volker Kriegels Spectrum, Sugarcane Harris Group, Albert Mangelsdorff und Peter Herbolzheimer Rhythm Combination & Brass. Dieter wurde damals von seinem MPS-Boss Hans-Georg Brunner-Schwer (HGBS) beauftragt den drogensüchtigen Sugarcane Harris auf der Tournee nicht aus den Augen zu lassen, schliesslich hatte der MPS-Gründer 40.000 US-Dollar als Kaution hinterlegt, damit die Tournee stattfinden konnte. Sugarcane Harris war ein herausragender Violinist, der u.a. mit den Mothers of Invention aufnahm und sogar auf Zappas epochalem “Hot Rats” Album mitwirkte (neben u.a. Jean Luc Ponty). Für MPS wurde er von Joachim Ernst Berendt entdeckt, er nahm für das Label eine Single und acht Alben auf. Darauf zu finden sind wunderbare Tracks, bei denen er mit Musikern wie Robert Wyatt, Harvey Mandel, Volker Kriegel, Wolfgang Dauner und vielen anderen wirkte.

Das T-Shirt findet nun seinen Weg in unser stetig wachsendes Archiv und wir überlegen noch wie wir es museumskonform konservieren können, damit es den Schwarzwälder Motten nicht zum Opfer fällt. Den dazugehörigen Brief von Dieter dürfen wir hier veröffentlichen, viel Spass wünscht Tøni Schifer

Zu Besuch im MPS-Studio 2024 – zwei ehemalige MPS-Mitarbeiter: Achim Frey und Dieter Hahne. Beide arbeiteten in der von Hans Pfitzer geleiteten Werbeabteilung. (Foto @Tøni Schifer/MPS-Studio e.V.)

Berlin, 12. Januar 2025

Liebe Viktoria,
Lieber Tøni,

ich hatte mal wieder einen meiner seltenen Energieanfälle und habe in alten Sachen auf dem Hängeboden herumgekruschtelt und bin dabei auf etwas gestoßen, was im MPS-Archiv bestimmt ganz gut aufgehoben ist.

TRARA!!! Zwei T-Shirts von der MPS-Promotion-Tournee 1973 „Rhythm & Sounds“! 

Die Auflage war auf 100 Stück limitiert. Diese T-Shirts wurden nur für die beteiligten Musiker und für die Tournee-Crew hergestellt. Während der Tournee hatte ich das Teil das eine oder andere Mal an – aber von den Musikern habe ich nur einmal Peter Herbolzheimer gesehen, der das T-Shirt anhatte, als er morgens in den Tour-Bus gestiegen ist. Sein Bauchumfang sah in dem T-Shirt schon ziemlich beängstigend aus. Das etwas größere behalte ich, das kleine schicke ich Euch anbei für das MPS-Archiv (dieses winzig kleine T-Shirt muss wohl am Schluss übrig geblieben sein – wem hätte das überhaupt passen können?).

Kurz vor der Tournee war Sugarcane Harris noch im MPS-Studio und hat zwei LPs aufgenommen: „Flashin‘ Time“ und „Keyzop“ (…auf der Keyzop-LP-Hülle steht ein falsches Aufnahmedatum!). Die Jungs hatten vor der MPS-Promotion-Tournee noch ein oder zwei Tage day off und da habe ich sie gefragt, ob sie nicht im Jazz-Club auftreten wollen, denn bekanntlich war ich damals Leiter des Jazz-Club Villingen. Alle haben zugesagt, nur Volker Kriegel hat dann doch gekniffen und ist nach Hause gefahren. Das Konzert fand am Sonntagnachmittag, 30. September 1973 statt. Den Auftritt hatte ich ja mehr oder weniger aus dem Hut gezaubert und Werbung fand so gut wie gar keine statt. Ich habe nur eine Durchsage bei dem Rundfunk-Jugendmagazin „Pop-Shop“ (damals eine der populärsten Sendungen im deutschen Hörfunk) beim Südwestfunk erwirken können. KAWUMM!!! Und das war schon zu viel des Guten. Die Webergasse war voll von Menschen. Die Interessenten kamen von Konstanz bis Karlsruhe. Nachdem wir an die 120 Besucher im Jazzkeller hatten ging ich vor die Tür und teilte der wartenden Meute mit, dass wir niemanden mehr in den Club lassen können, was mit einem riesigen Pfeifkonzert erwidert wurde. Wir haben dann die Tür abgeschlossen.

Konzertankündigung Sounds Magazin 1973.

Die kostenintensive Promotion-Tournee – finanziert von MPS und BASF – wurde von Lippmann & Rau ausgerichtet und organisiert. Das Motto  „Rhythm & Sounds“ kam von Ulli Rützel von BASF) Hans Pfitzer (mein Chef in der MPS-Abteilung für Public Relation, Promotion, LP-Hüllen-Produktion) und ich fuhren damals mit dem Zug nach Frankfurt und wir saßen vor dem Schreibtisch des großen Fritz Rau. Später kam dann auch noch Horst Lippmann dazu, der uns danach zum Bahnhof gefahren – und uns unterwegs auch noch zum Kaffee eingeladen hat.

Ich habe dann die Tournee begleitet. Mein Spezial-Job war auf Sugarcane Harris aufzupassen, dass er nicht an Heroin kommt, denn er war seinerzeit ein Junkie. Kurz vor der Tour wurde er in Los Angeles wegen Heroinbesitzes verhaftet und saß im Knast. Sugarcane aus dem Tourneeprogramm zu nehmen ging nicht mehr, denn die Werbung lief bereits auf Hochtouren und er war schließlich das Zugpferd der Tournee. Er war damals unglaublich populär, besonders durch seine Zusammenarbeit mit Frank Zappa’s Mothers of Invention. Also holte man ihn auf eine Kaution von 40.000 Dollar – wenn ich mich recht erinnere – aus dem Knast, damit er die Tournee absolvieren konnte. 

Plakat der Tournee (© Archiv MPS-Studio e.V.)

Oh Mann – dieser Wahnsinns-Job hat mich fast umgebracht. Anstelle sich Heroin zu spritzen, hat Sugarcane als Ersatz gesoffen wie ein Loch. Nach den Konzerten zog es ihn nachts in die Kneipen bis in die Puppen. Natürlich musste ich ihn begleiten (er hätte ja sonst irgendwie an Stoff rankommen können), habe munter mitgesoffen und habe ihn immer zu später Stund an seiner Hotelzimmertür abgeliefert. Einmal habe ich sogar nur ein, zwei Stunden in der Badewanne zugebracht. Einerseits, um wieder munter zu werden und andererseits hätte sich das zu Bett gehen sowieso nicht mehr gelohnt. Am letzten Tag in München bin ich halb tot auf dem Zahnfleisch gegangen. Denn ich hatte ihn in München nach dem Konzert im Deutschen Museum aus den Augen verloren. Der Geiger Nipso Brantner (siehe MPS „The New Violin Summit“) war backstage und plötzlich waren die beiden verschwunden. Ich bin dann schweißüberströmt durch das nächtliche Schwabing geirrt und habe Sugarcane und Nipso gesucht und dann im Jazz-Club „domicil“ aufgegabelt (Schwein gehabt, Herr Hahne!). 

Don Sugarcane Harris in Berlin (© Archiv MPS-Studio e.V.)

Von Sugarcane Harris wurden 8 Alben und einer Single bei MPS veröffentlicht. Als Musiker war er genial und nahm u.a. auch für Frank Zappa auf. Wunderbar nachzuhören bei “Willi the Pimp” auf dem legendären “Hot Rats” Album. (Foto German Hasenfratz / MPS-Studio e.V.)

HGBS und Hans Pfitzer waren beim Abschluss-Konzert in München auch anwesend. HGBS hat sich nachts im Rolls Royce oder in einer seiner anderen Angeber-Kisten von seinem Chauffeur wieder nach Villingen fahren lassen. Mit Pfitzer bin ich dann am nächsten Tag nach Villingen gegondelt.

Hans Pfitzer(✝) war Leiter der Werbeabteilung bei MPS-Records. Sein Archiv mit Erinnerungen, Fotos und Memorabilia hat er uns überlassen. Wir sind diesem humorvollen und sympathischen Herrn sehr dankbar. Hier zu Besuch bei einem Konzert mit Mario Batkovic 2024 (Foto © Töni Schifer / Archiv MPS-Studio e.V.).)

Am darauffolgenden Tag war ich dann wieder im Büro und es hieß „Hahne soll zum Boss kommen!HGBS bedankte sich bei mir und schob ein Kuvert über seinen Schreibtisch zu mir herüber. Zurück an meinem Arbeitsplatz habe ich das Kuvert geöffnet und ein Hundert-Mark-Schein war darin. Ich habe nur blöde geglotzt und hätte laut aufheulen können. Ganze 100 Mark war es HGBS wert, dass ich ihm 40.000 Dollar gerettet habe. Denn wenn Sugarcane an Heroin gekommen – und von der Polizei dabei gestellt worden wäre, dann hätten ihn die deutschen Behörden erst mal festgehalten und die Kaution wäre auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Ganz abgesehen davon, dass ich während der Tournee Überstunden ohne Ende gebolzt habe. Aber das hat weder HGBS interessiert, noch den stocksteifen, humorfreien Verwaltungs-Ignoranten  Wollschläger aus der Buchhaltung. Bei diesem habe ich stets bezweifelt, ob er das Wort JAZZ überhaupt buchstabieren kann und ob er sich jemals ein Stück Jazz angehört hat.

Ja, ja – damals war’s!

Herzliche Grüße an Euch beide,

Dieter

P.S. Als 1974 die MPS-LP „Haiku“ von Don Ellis veröffentlicht wurde, gab es dazu ein Giveaway für die Medien-Fritzen und zwar ein Trompetenventil auf einem Sockel befestigt mit einer Gravur – wahrscheinlich „Don Ellis – MPS – Haiku“ (ich weiß es nicht mehr genau). Ich habe mir damals auch so ein Teil gekrallt und ich weiß, dass ich es nach Berlin mitgenommen habe. Aber es ist nicht mehr auffindbar. Weiß der Geier, wo das Ding abgeblieben ist. Ich hätte es sonst mitgeschickt!

Anzeige von MPS in der HIFI STEREOPHONIE Ausgabe 9/1973 (© Archiv MPS-Studio e.V.)